Kurt Luger/Karlheinz Wöhler,
Kulturelles Erbe und Tourismus, Rituale, Traditionen, Inszenierungen.

StudienVerlag Innsbruck 2010

51LKF2W+dAL._SX330_BO1,204,203,200_Beeinflusst der Tourismus den kulturellen Wandel einer Region? Verändert er die Lebensformen der Menschen? Was heute als kulturelles Erbe diskutiert wird, besteht nicht aus nostalgischer Erinnerung und ausgemusterter Tradition. Es umfasst vielmehr bewährte Praktiken der Lebensführung, lebendige Bräuche, Rituale und Feste – somit die Insignien kultureller Identität. Das schließt auch Techniken des Handwerks, des Ackerbaus, der Wein- und Hortikultur, traditionelle Heilmethoden und den Reichtum an Sprachen und Dialekten ein.

Das überlieferte Wissen im alltäglichen Umgang mit der Natur, die Erhaltung und Nutzung lokaler Ressourcen, dies alles hat spezielle Erzeugnisse und Fertigkeiten mit einer ihnen eigenen ästhetischen und künstlerischen Kompetenz hervorgebracht. Sie machen die besondere Anmutung einer Region aus.
Diese als Erbe verstandenen Kulturpraktiken sind nicht zuletzt attraktiv für den Tourismus, sie stellen Tradition in einen innovativen Kontext und sie bieten Lösungsmechanismen an für eine an Nachhaltigkeitskriterien orientierte Regionalentwicklung.

 

Im Rampenlicht dieses Buches steht das immaterielle Kulturerbe, dessen Existenz und Weiterbestand gefährdet erscheint oder dessen Bedeutung zumindest in Frage steht. Die technisierte Kultur der Industriestaaten mit ihren spezifischen Formen und Lebensstilen wird exportiert und sie trägt dort, wo sie massiv in Erschei­nung tritt, auch zu Auflösungser­scheinungen von traditionellem Wissen und bestehenden Konzep­ten im Umgang mit der Natur bei. Angesichts der Bedeutung des immateriellen Kulturerbes als Quelle kultureller Vielfalt und Garant der nachhaltigen Entwicklung wurde 2003 im Rahmen der 32. UNESCO-General­konferenz das Übereinkommen zur Erhaltung des imma­teriellen Kulturerbes verabschiedet. Bisher haben 114 Länder diese Konvention ratifiziert, darunter auch Österreich. Zu den Zielen des Übereinkommens zählen die Erhal­tung des immateriellen Kulturer­bes, die Gewährleistung der Achtung vor dem immateriellen Kulturerbe der jeweiligen Gemeinschaften, Gruppen und Einzelpersonen sowie die Bewusstseinsförderung in Bezug auf seine Bedeutung und die gegenseitige Wertschätzung auf lokaler, nationaler wie internationaler Ebene.

Die Verbindung zum Tourismus ist besonders evident. Zum immateriellen Kulturerbe zählen:

  • mündlich überlieferte Traditionen und Ausdrucksformen, einschließlich der Sprache als Trägerin kulturellen Erbes in Form von Erzählungen, Epen, Sagen oder Regionalsprachen und Dialekten
  • darstellende Künste wie Musik und Gesang, typische Tanzformen, Masken­tänze, Volks­theater, Marionetten- und Puppenspiel, Mimenspiele
  • gesellschaftliche Bräuche, Rituale und Feste
  • das Wissen und die Praktiken im Umgang mit der Natur und dem Universum, wie z. B. Wissen um die Nutzung und Erhaltung lokaler Ressourcen, tradi­tionelle Heil­methoden, Ackerbau und Viehwirtschaft, Weinbau und Hortikultur
  • traditionelle Handwerkstechniken wie etwa die Herstellung von Kleidung und Werkzeug, Bautechniken, Materialkenntnis, spezifisches Anwen­dungs- und Verarbeitungswissen etc.

 

Dieser Band bringt die Erkenntnisse und Meinungen von Praktikern und Wissenschaftern, von Touristikern sowie von Vermitt­lern des Kulturerbes zusammen. Er greift den Diskurs um die besondere Qualität des immateriellen kulturellen Erbes im Generellen und für den Tourismus im Besonderen auf. Bis vor kurzem verstellte die Polemik um die Kommer­zialisierung von Fronleichnamsprozessionen oder um die spezifische Unterhal­tungs­funktion eines Tiroler Abends den Blick auf die analytische Auseinander­setzung über die kulturelle und gesellschaftspolitische Dimension des Erbes. Diese Diskussion ist aber auf einer sachlichen und wissenschaftlichen Ebene zu führen. Umso wichtiger wird sie im Kontext von räumlicher Identitätssuche und -verankerung in einer globalisierten Welt und einem grenzschrankenlosen Europa.

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